Schornsheim und die Schneider Schornsheim ist ein Dorf, das hinsichtlich seines Wohlstandes und der Erwerbstätigkeit seiner Bewohner mit vielen anderen Dörfern vergleichbar ist. Das war nicht immer so. Noch vor Hundert Jahren war Schornsheim als Schneiderdorf bekannt, es gab über 130 Schneider, ganze Familien lebten von der Heimschneiderei, sie nähten für Fabriken in Mainz, Worms und Darmstadt. Jeder Schneider hatte sich auf sein Spezialgebiet eingearbeitet, so gab es nur Schneider die Hosen anfertigten und andere wiederum nur Jacken. Einmal in der Woche wurden die fertigen Kleidungsstücke dann in der Fabrik abgeliefert. Die Schneider wohnten meist in kleinen einstöckigen Lehmhäusern mit zwei, drei, zuweilen auch nur einem Fenster zur Straßenseite, denn es wurde damals eine Fenstersteuer erhoben. Das frühere Wohnzimmer der Schneider war ihre Werkstatt, darin standen mehrere Nähmaschinen und ein großer Schneidertisch. Vater, Mutter, Töchter und Söhne arbeiteten bis in die Nacht, damit sie sich durch Ihre Arbeit ernähren konnten, denn als Schneider verdienten sie sehr wenig Geld. Wie viele Röcke, Hosen, Westen müssen aus der Werkstatt hinauswandern, bis der Schornsheimer Heimarbeiter sich seines freien Eigentums an Haus und Grundstück erfreuen kann. Viele hatten noch ein Stück Feld auf dem sie Kartoffeln und Getreide anpflanzten, zu Hause hatten sie im Stall ein Schwein, dass dann wenn es groß war geschlachtet wurde, oder eine Ziege für ihre Milch die sogenannte Schneiderkuh. Da aber die Fabriken rationalisierten und somit billiger arbeiten konnten gab es für die Schneider immer weniger Arbeit, also mussten sie sich notgedrungen neue Arbeitsplätze suchen. Viele gingen dann in die Industriewerke nach Mainz oder nach Rüsselsheim in die Opelwerke arbeiten, wo sie viel mehr verdienten und somit sich etwas Luxus erwarben. Heute gibt es im ganzen Dorf keine aktiven Schneider mehr, der Beruf ist somit ausgestorben. Wenn man aber durch die Straßen geht, besonders in der Karl-Marxstr. so findet man noch ein paar typische Schneiderhäuser.
Die Schornsheimer Schneider Wer kennt sie nicht, die Schornsheimer Schneider, deren Arbeiten Fingerfertigkeit und Akkuratesse verraten und darüber hinaus durch ihre Sangeslust und urwüchsigen Frohsinn weit über die Kreisgrenzen hinaus bekannt sind. In diesen Zeiten wollen wir eine kurze Rückschau über die Entwicklung des Schornsheimer Schneiderhandwerks halten, um einmal aufzuzeigen, wie Zeiteinflüsse, die sich in Konjunkturen ausdrücken, die wirtschaftliche Strucktur eines Ortes völlig verändern können. Zum anderen soll das Vereinsleben beleuchte werden, das nachgerade die Menschen eines kleinen Ortes wie eine einzige große Familie erscheinen lässt, aus der sie die Kraft für ihre Arbeit schöpfen. Ein eigendliches Gründungsjahr des Schneiderhandwerks ist nicht feststellbar, doch war es wohl um1890 herum, als die erste Nähmaschine bei der Familie Messinger in Betrieb genommen wurde. Diese Maschine war noch äußerst primitiv und bloß für gerade Nähte geeignet. Zunächst wurde nur für die Einwohner Schornsheims und die nähere Umgebung geschneidert. Der goldene Boden des Schneiderhandwerks veranlasste die beiden Söhne der Familie die das Schuhmacher- und Zimmermannshandwerk erlernt hatten, ihr Handwerkszeug beiseite zu legen und Schneider zu werden. Andere Familien folgten diesem Beispiel, und man muss Mathes, Vogel, Weibrich, Sandmann und Balz erwähnen, Schneiderfamilien, die das Handwerk zu hoher Blüte brachten. Nun war in der Schornsheimer Gegend nicht mehr genügend Arbeit zu erhalten, deshalb reisten Vertreter der Schornsheimer Schneider zu den großen Konfektionsgeschäften nach Mainz, Worms, Speyer und Frankfurt, holten sich dort Aufträge und lieferten fertige Waren ab. Um das Jahr 1930 zählte man schon achtzig Schneiderfamilien, wo Mann und Frau und Kinder dem Handwerk nachgingen. Da sie all das, was sie zum Lebensunterhalt benötigten, auf ihren Feldern und Gärten anbauen konnten, legten sie das verdiente Geld anderweitig an. Es entwickelte sich eine rege Bautätigkeit. Viele Häuser und Werkstätten mit modernen Maschinen erinnern an die Zeit. Auch die übrige Geschäftswelt profitierte von dem Aufschwung des Schneiderhandwerks und bracht es selbst zu ansprechendem Wohlstand. In der ersten Zeit lieferten die Schornsheimer Schneider komplette Anzüge, dann aber, bei immer gesteigerten Anforderungen, ging man zur Arbeitsteilung über, so dass ein Teil Röcke, der andere Hosen, der nächste Westen usw. anfertigte. Durch dieses System der Arbeitsteilung gelang es immer mehr Waren fertigzustellen und damit den Verdienst zu steigern. Die Wohlhabenheit der Schneider war vor dem ersten Weltkrieg so groß, dass die Meister es nicht mehr nötig hatten, an Montagen zu arbeiten, viele fingen sogar erst wieder am Mittwoch an. Dafür waren sie aber bekannt, dass sie es verstanden, zünftige „Tutte ze rolle“, d.h., sie waren oft, gern und lange im Wirtshaus. Im Jahre 1908 wurde der Gesangverein “Sängerlust“ gegründet, dem fast hundert Schneider angehörten. Gleichzeitig entstand auch eine eigene Kapelle. Als „Schornsheimer Schneiderverein“ waren die Sänger durch ein gut geschultes Stimmenmaterial weit über die Kreisgrenzen hinaus bekannt und errangen auf den Sängerfesten beachtliche Erfolge, die nicht zuletzt auf ihren Dirigenten Jakob Kopf, der 25 Jahre lang den Taktstock schwang, zurückzuführen sind. Kopf, der ursprünglich Bäcker war, ließ bald nach der Gründung des Gesangvereines seine Backstube im Stich, baute ein Gasthaus mit Saal und widmete sich von Stund an nur dem Verein. Der Sängerkunst zuliebe besuchte er nebenbei noch das Mainzer Konservatorium, schulte so sich selbst um seine Sangesbrüder schulen zu können. Jetzt haben die Schornsheimer Schneider Sorgen, denn Material- und Geldmangel sind arg zu spüren, doch werden sie mit ihrem Gesang und dem fast schon sprichwörtlichen Humor auch diese Zeit überstehen. H.S Namentlich konnte nach Recherchen ab ca.1870 bis heute noch lebende 196 Schneider in Schornsheim aufgezählt werden.
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